Wer ist Karlheinz Böhm?

Man stelle sich vor: Ein Foto mit Karlheinz Böhm, aufgenommen in Äthiopien, im Kreise mehrerer Einheimischer. Ich höre die Frage: Wer von denen ist Karlheinz Böhm?

   Antwort Nr. 1: Na, der Weiße in der Mitte.

   Antwort Nr. 2: Na, der Ausländer in der Mitte.

   Antwort Nr. 3: Na, der mit dem Migrationshintergrund.

Was klingt am wenigsten beknackt? Eigenartigerweise eben das, was wir im umgekehrten Fall als völlig undenkbar ausschließen würden.

Wozu dient Sprache? Zu allererst wohl dazu, sich unmissverständlich auszudrücken, einem Gegenüber mit möglichst wenigen Worten eine Botschaft zu übermitteln. In diesem Sinne ist die Angabe "der Weiße" sehr zweckmäßig, zumindest, solange Karlheinz Böhm zusammen mit vielen dunkelhäutigen Menschen auf einem Bild steht. Niemand nähme Anstoß daran. Umgekehrt ginge das eigenartigerweise gar nicht!

Antwort Nr. 2 ist jedenfalls nicht besser: Böhm ist in seiner zweiten Wahlheimat Äthiopien wohl weniger Ausländer als er es in Deutschland wäre. Und weil Ausländer ein relativer Begriff ist, eignet er sich nicht recht, wenn man in Deutschland ein Foto eines Österreichers betrachtet, der in Äthiopien zwischen Menschen unbekannter Herkunft steht.

Antwort Nr. 3 vielleicht? Zweifellos migriert Böhm ständig, aber keiner käme auf die Idee, ihn dadurch zu charakterisieren. Zumal man auf einem Foto gar nicht erkenenn kann, ob jemand migriert - vielleicht ist ja noch ein Senegalese dabei, frisch eingewandert und daher auch mit Migrationshintergrund.

Das einzig deutlich erkennbare Merkmal ist eben die Hautfarbe, und ausgerechnet deren Benennung soll tabu sein?

 

Vom Mohren zum Afrodeutschen

Der heute in solchen Situationen beliebte "Mitbürger mit Migrationshintergrund" ist ja auch ein dämlicher Ausdruck, so verkrampft wie "ausländischer Mitbürger". "Ausländer" darf man nämlich nicht mehr sagen, als wäre es eine Beleidigung, aus einem anderen Land zu stammen. Einen Migrationshintergrund habe auch ich, weil meine Eltern nach dem Krieg aus Berlin bzw. Schlesien in den Westen gekommen sind. Aber nein, das ist damit natürlich nicht gemeint ...

Wie sehr einen die political correctness in Teufels Küche bringt, merkt man, wenn man es Kindern vermitteln will.

"Papa, was ist ein Neger?"

"Neger sagt man heute nicht mehr, der Begriff wird heute als Beleidigung verstanden. Neger hat man früher Menschen genannt, die eine sehr dunkle Haut haben. "

"Und wie sagt man heute?"

Tja, wie sagt man heute? Das Hirn beginnt zu rauchen: Der "Mohr" ist ohnehin auf dem Schutthaufen der Sprachgeschichte, und selbst die Sarottischokolade pflegt ihn nur noch im Firmenmuseum. "Afrikaner" geht nicht, denn das stimmt nur, wenn die Person wirklich aus Afrika kommt. Viele bei uns sind "Afroamerikaner", aber eben auch nicht alle.

Lange Zeit war "Schwarzer" gesellschaftsfähig. Auch wenn ein Schwarzer genausowenig schwarz ist wie ich weiß, erfüllt diese plakative und sinnfällige Unterscheidung in vielen Fällen den Zweck, in sprachlicher Knappheit das Wesentliche auszudrücken. Und der Begriff stammt auch nicht mehr aus den Zeiten der Rassentrennung. Trotzdem darf ich mich zwar jederzeit als Weißen bezeichnen, sollte mich aber hüten, jemanden anderen schwarz zu nennen. Vielleicht liegt das daran, dass Weiße bei uns die Mehrheit sind und eine Minderheit sich schneller sprachlich ausgegrenzt fühlt.

Andererseits: Karlheinz Böhm gehört in Äthiopien zur weißen Minderheit – daran kann es also auch nicht liegen.

"Dunkelhäutiger" oder "Farbiger" ist an der verpönten sprachlichen Variante zu nahe dran, um wirklich akzeptiert zu werden.  Mit "Afrodeutscher" (möglicherweise auch sachlich falsch), "stark pigmentiert" oder Vergleichbarem wird der Reigen immer umständlicherer und abstruserer Wortschöpfungen dann endgültig eröffnet.

Der Krampf liegt letztlich daran, dass man Menschen mit dunklerer Hautfarbe nicht an diesem einzig sie verbindenden Merkmal benennen darf. Man sollte mal analog versuchen, das Wort "Gemüse" zu vermeiden. "Paul, du solltest Deiner Gesundheit zuliebe mehr überwiegend zur herzhaften Zubereitung bestimmte Feldfrüchte essen." Glücklicherweise fühlen sich Kartoffeln nicht beleidigt, wenn sie unter Missachtung ihrer Individualität und inneren Werte mit Möhren und Zucchini begrifflich über einen Kamm geschoren werden.

Der "Mohrenkopf" ist ganz folgerichtig auch längst von den Packungsaufschriften verschwunden, der "Negerkuss" ebenso, und das, obwohl der Begriff durchaus in jeder Hinsicht angenehme Assoziationen zu wecken geeignet ist. Hier wurde immerhin mit dem "Schokokuss" eine gangbare und wenig sperrige Lösung gefunden ("Schaumkuss" und "Dickmann" weckt in mir keine sonderlich positiven Gefühle).

Was aber geschieht mit den Negerlein aus den Kinderbüchern, ganz zu schweigen von den zehn kleinen aus dem Lied?

 

... da waren's nur noch neun!

Jüngst ist eine heiße Debatte in den Medien losgetreten worden, von Kulturbewahrern und Gleichberechtigungsaktivisten gleichermaßen engagiert geführt: Dürfen in Otfried Preußlers Kleiner Hexe an Fasching als "Negerlein" verkleidete Kinder herumlaufen? Natürlich möchte auch ich nicht, dass sich jemand durch deutsches Kulturgut beleidigt fühlt. Der Literatur wird es zumeist nicht übermäßig schaden, wenn einzelne Passagen modernisiert werden – das widerfährt auch der Bibel bei jeder Überarbeitung des Luthertextes. Andererseits  frage ich mich, ob ein Gespräch mit Kindern über solche Begriffe nicht mehr für das respektvolle Miteinander tut als das Totschweigen historischen Wandlungen unterworfener Wörter, denen man über kurz oder lang dann doch begegnet.

Wir eiern unsicher mit Worthülsen, Wortmonstern und schlicht sinnentstellenden Formulierungen um Sachverhalte, die sich einst klar benennen ließen. Behinderte, Ausländer, Schwarze, Dritte Welt – die Liste ließe sich fortsetzen.

Meine Theorie: Jede eine kleinere Bevölkerungsgruppe betreffende Bezeichnung wird über kurz oder lang als diffarmierend empfunden und muss daher alle zehn Jahre durch eine neue ersetzt werden. Vielleicht sollten sich sicherheitshalber auch die Kanaken, jener neukaledonische Volksstamm, der negativen Konnotation wegen umbenennen?

Aber hängt denn wirklich alles an Begriffen, die wir mit spitzen Fingern anfassen und uns nicht zu verwenden trauen? Spielt es denn eine Rolle, ob jemandem ein Mietvertrag bzw. Zugang zur Disco verweigert wird weil er Ausländer ist oder weil er einen Migrationshintergrund hat? Weil er schwarz oder weil er pigmentiert ist? Was uns fehlt, ist bestenfalls der vorurteilsfreie Umgang miteinander. Und ein unverkrampfter Umgang mit Sprache.

Viel wichtiger fände ich übrigens, die wirklich (und völlig unnötig) diffarmierenden Bezeichnungen für unsere Kinder zu verbannen. "Bälger", "Rotzlöffel" oder "Plagen" sind nicht wirklich liebe- oder respektvolle Begriffe. Ganz zu schweigen von meinem persönlichen Favoriten der Liste, dem bei uns in Franken beliebten "Fregger", was schlichtweg von "Verrecker" kommt - also den lebensuntüchtige, schwächliche Nachwuchs bezeichnet, den zu versorgen die Eltern nicht mehr für wert erachten. 

Dann lieber schwarz.