Je mehr sich die Menschheit mit Komfort, Wohlstand und Technik umgibt, umso lauter rufen die Mahner nach Rückbesinnung auf ein Leben im Einklang mit der Natur. Ohne jeden Zweifel berechtigt, denn der Mensch kann nicht auf Dauer Raubbau an den Ressourcen der Welt und der eigenen Gesundheit betreiben, ohne den Ast abzusägen, auf dem er sitzt.

Was einen aber immer wieder den Kopf schütteln läßt, ist die Blauäugigkeit, mit der alles geglaubt wird, was das Etikett „Bio“ oder „Öko“ trägt. Ein paar Beispiele:

L. casei

Eine Firma bringt Joghurt-Kleinstabfüllungen - eßlöffelweise portioniert in einen dicken Kunststoffnapf verpackt und verschlossen mit aufgeschweißter Plastik-Alu-Verbundfolie - auf den Markt, setzt „L.casei“-Kulturen hinzu und jeder weiß, daß diese unglaublich gut für die natürlichen Abwehrkräfte sind. Das weiß man, weil's die Firma verspricht und noch dazu Fitness und Aktivität suggeriert.
Was ist eigentlich „L. casei“? 
Lactobacillus casei heißt er vollständig. Ein simples Milchsäurebakterium, das sich ganz natürlich in der Milch findet und damit auch in zahllosen Milchprodukten. Anscheinend rechtfertigt es die Verpackungsorgie, denn das Produkt ist von Ökotest mit „sehr gut“ bewertet worden. 
„Tests“ (Variante ist die noch wissenschaftlicher klingende „Studie“) peppen überhaupt so manche Reklame auf, wenn es darum geht, die Glaubwürdigkeit der Versprechungen zu stärken. Ein Test kann praktischerweise von jedem durchgeführt oder erfunden werden und dementsprechend alles „beweisen“, was man gerade für richtig hält.

Ökotest ist zwar nicht Hinz und Kunz, aber auch die haben neulich Lammfleisch aus Feuerland preisgekrönt - was nicht dafür spricht, daß die Juroren sich um Transportwege und damit verbundene Umweltbelastungen Sorgen machen.

Was sind eigentlich Cerealien?

Weizen, Gerste, Roggen, Mais ... kurz: Getreide. Aber welches Kind möchte schon ein Frühstück aus Getreide? Könnte ja gesund schmecken. Kinder verbinden mit dem (dem Englischen entlehnten) Wort mittlerweile die gezuckerte Frühstücksflockenherrlichkeit, und die (einkaufenden) Mütter und Väter scheinen auch nicht zu merken, daß normales Brot aus den gleichen Rohstoffen hergestellt wird. Unterschied: Vollkornbrot enthält keinen Zuckerzusatz, dafür aber jede Menge Ballaststoffe. Wie bedeutend diese für die Ernährung sind, wird gerne verschwiegen. Sie lassen sich nicht so gut verkaufen.

Bio-Alkohol

Daß Putzmittel nicht gerade der Abwasserqualität dienlich sind, ist hinlänglich bekannt. Umso eifriger beteuern die Herstellerfirmen, wie toll ihr Produkt biologisch abbaubar ist (i.d.R. zu 98% - das klingt toll, aber sonst dürfte es auch gar nicht verkauft werden) und aus welch natürlichen Rohstoffen ("die milde Kraft der Zitrone ...") ihr Produkt besteht. Zu meinen Favoriten gehört aber immer noch der Bio-Alkohol.

Alkohol ist als gutes Lösungsmittel für fettigen Schmutz wirklich geeignet und schadet in putzüblichen Mengen auch nicht der Natur. Leider wird er schon seit Jahrhunderten verwendet und klingt als wirksamer Stoff ein bißchen zu banal. So besannen sich die Firmen - zeitgemäß - auf die umweltverträgliche Herkunft ihres Alkohols: er wird nämlich rein biologisch hergestellt, von Hefezellen unter Verwertung von Zucker. Verschwiegen wird, daß selbst der allerletzte Tropfen Brennspiritus keinen anderen Ursprung hat, denn die Destillation von überschüssig produzierten Weinen der EU ist nach wie vor die billigste Alkoholquelle und deckt den europäischen Bedarf von der Apotheke über die Putzmittelindustrie bis zum Eierlikör mühelos.

Bio-Discount

Ein Bio-Label enthebt einen nicht der Verpflichtung, kritisch zu denken. Stutzig machen könnte es, wenn Bioprodukte im Preis nicht oder kaum nennenswert über der konventionellen Ware liegen. Was ist die Ursache? Es greift zu kurz, wollte man den Discountern vorwerfen, es handle sich gar nicht um Bioprodukte. Ohne Schaden kann ein Discounter über optimierte Vertriebswege und große Abnahmemengen natürlich den Preis drücken, das tun Bio-Supermarktketten ebenfalls. 

 

Meine persönlichen Fragen an ein Produkt sind:

- Ist die Ware umweltschonend hergestellt? (Pestizideinsatz, Mineraldünger, ...)

- Werden ggf. Tiere artgerecht gehalten und ohne große Transportwege geschlachtet? (Massentierhaltung ...)

- Wird die Ware so regional wie möglich vermarktet? (Ökotest "sehr gut" für Bio-Lammfleisch aus Feuerland?)

- Stehen Produktionsaufwand und Nutzen für mich in einem vernünftigen Verhältnis?

- Ist der Verpackungsaufwand vertretbar?

 

Bei vielen dieser Fragen verlasse ich mich auf die renommierten Siegel von z.B. demeter, naturland oder notfalls das EU-Bio-Siegel. Wieviel man auf die munter erfundenen Logos einiger Supermarktketten geben will, die außer dem nicht geschützten Wort "Bio" nichts darüber verraten, was an der Ware besser sein soll als an der konventionellen Variante, muss jeder selebr entscheiden.

Zwei provokante Definitionen zum Schluß:
Biologie ist die Lehre vom Leben - unbiologisches Gemüse ist also ein Widerspruch in sich
Ökologie ist die Lehre von den Wechselbeziehungen in einem Lebensraum. Wenn der Mensch eine Tonne Jauche in einen Fischteich kippt, beschreibt die Ökologie diesen neuen Zustand völlig ungerührt. Für viele Arten (z.B. Fäulnisbakterien, Augentierchen und Brennesseln am Ufer) brechen dadurch sogar paradiesische Zustände an - es ist alles nur eine Frage der Perspektive!