Wer den Kamerabesitzern und Blättchenabzupfern mit Verachtung jegliche reine Genußfähigkeit abspricht, gehört zu einer Welt, die mit diesem Kapitel nichts anfangen können wird. Es gibt aber Menschen mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Sammeltrieb, und daran ist nichts Verwerfliches. Ihnen gelten die folgenden Zeilen.

Die virtuelle Sammlung

Nicht jedem sind Ausdauer, Platz und Zeit vergönnt, ein ganzes Herbarium anzulegen. Manchen ist auch (zu Recht) der Gedanke zuwider, die letzte Orchidee zu pflücken, um sie dann als plattgedrückte und ausbleichende Trophäe vor Staubläusen und Museumskäfern schützen zu müssen. 
Ein paar Anregungen, wie der Sammeltrieb anders gestillt werden kann:

herbar2Die platonische Sammlung

Wer ein Bestimmungsbuch (in diesem Fall am besten einen wissenschaftlichen Schlüssel*) verwendet, kann durch kreative Markierungen am Rand hervorheben, was er bereits irgendwo in freier Wildbahn gesehen hat. Angaben über Fundort und -datum erhöhen den Wert der „Sammlung“. Die Methode tut der Natur nicht weh und nimmt - vom Buch abgesehen - keinen Platz weg. Der wahre Sammler kann ergänzend Listen führen und Statistiken über die Familienzugehörigkeit o.ä. führen ...

Nicht zu empfehlen ist diese Art Sammlung in Büchern, die nicht wirklich die komplette Flora eines Gebiets abdecken.

*Drei gängige Exkursionsfloren (Bestimmungsschlüssel in Buchform) empfehle ich auf den Link-Seiten.

Die Bildersammlung

Fotos oder auch Bilddateien lassen sich gut sammeln. Bei der Wahl des Ablagesystems ist darauf zu achten, daß die Sammlung auch noch bei großem Umfang übersichtlich bleibt und ohne Probleme systematisch richtig erweitert werden kann. Raum sollte für weitere Bilder derselben Art bleiben, ebenso für Unterarten, Varietäten und Rassen, die unweigerlich hinzukommen werden. Die Sortiermöglichkeiten sind bei einer elektronischen Sammlung sicher am größten, auch nimmt sie am wenigsten Platz in Anspruch (vom PC selber abgesehen). Allerdings ist man auf Technik angewiesen, wenn es etwa darum geht, die Bilder einem größeren Kreis oder gar unter freiem Himmel zu zeigen.

Beachtung verdient auch die Frage nach dem Sortierkriterium: Deutsche Namen taugen nur bedingt, da viele von ihnen mehrfach vergeben sind (z.B. Löwenzahn, Butterblume) oder nur regionale Gültigkeit haben (z.B. Pissenlit). Nicht jeder mag aber ein rein wissenschaftliches Alphabet anlegen, in dem er vielleicht lange nach einem Gewächs suchen muß, dessen Name ihm dann doch nicht so geläufig ist (Wer war gleich Mesembryanthemum acinaciforme? Wie heißt nochmal der Heidegünsel auf schlau?). Soll es ein Generalalphabet sein oder eine getrennte Auflistung der einzelnen Familien?

Mir persönlich erscheinen eine Vorsortierung in Familien und die Verwendung wissenschaftlicher Namen (deutsch in Klammern dahinter, das hat man notfalls schnell überflogen oder auf dem Bildschirm mit der „suche“-Funktion aufgefunden) zweckmäßig.

Familie: Lamiaceae (Lippenblütler)
Lamium amplexicaule (Stengelumfassende Taubnessel)
Lamium maculatum (Gefleckte T.)
Lamium purpureum (Purpurfarbene T.), dto: weiße Form
Rosmarinus off. (Rosmarin)
Salvia glutinosa (Kleb-Salbei)
Salvia officinalis (Echter Salbei)

Familie: Menyanthaceae (Fieberkleegewächse)
Menyanthes trifoliata (Fieberklee)

Familie: Orchidaceae (Knabenkrautgewächse, Orchideen)
Orchis pallens (Blasses Knabenkraut)
Vanilla planifolia (Echte Vanille, Bourbon-Vanille)

 

Das klassische Herbarium

 

Eine Sammlung von gepressten Pflanzen kann als ästhetischer Genuss oder auch als langweilier Stapel trockener Pflanzenleichen daherkommen – und das völlig unabhängig davon, ob sie von wissenschaftlichem Wert ist.

Die Auswahl

Man sollte prinzipiell nichts pflücken, was am jeweiligen Standort selten oder gar einzig ist. Der fachkundige Sammler kann leichter einschätzen, was objektiv selten ist und was nicht - aber auch er wird nie die letzten Exemplare einer Population entfernen.

Oft schwierig zu bestimmen (und daher für die meisten Sammler ungeeignet) sind Gartengewächse, Hybriden, Züchtungen, gefüllte Blüten, Exoten und anderes, was wild nicht so vorkäme. Es bedarf oft der Übung, auch nur die Gattung zu erkennen.

Ansonsten ist alles herbarwürdig, was sich pressen oder konservieren läßt, sofern es thematisch in die Sammlung paßt. Angesichts von alleine in Deutschland ca. 3000 Arten liegt es nahe, sich auf einen Bereich zu spezialisieren. Dies kann eine Familie oder Ordnung sein, ein bestimmtes geographisches Gebiet, ein Thema wie Wasser- und Sumpfpflanzen. Man kann auch Blätter von Gehölzen herbarisieren oder sich andere, exotische Kriterien ausdenken.

Gepflückt werden in der Regel zusammenhängende Pflanzenteile, die alle wichtigen Merkmale der Pflanze zeigen. Idealerweise ist dies ein vollständiges Exemplar mit Blüte, Früchten und Wurzel. Fast nie können Blüte und Frucht gleichzeitig geerntet werden, die Wurzel ist entweder zu fest im Boden oder zu dick oder schmutzig, und spätestens bei großen Laubbäumen müssen Konzessionen gemacht werden. Manche Sammler knicken größere Pflanzen mehrfach, um sie auf Herbarformat zu bekommen, andere wählen geeignete Abschnitte.

Die Bestimmung

Oberster Grundsatz: Pflanzen gehören frisch bestimmt! Ein plattes, noch so hübsch und ordentlich herbarisiertes Gewächs lässt sich stets schlechter bestimmen als ein frisches, meistens wird es für den Laien sogar gänzlich unmöglich. Am besten notiert man alle Angaben (Art, Fundort und -datum) gleich auf einem Zettel, der dann der Pflanze in der Presse beigelegt werden kann.

Wie aber kommt man auf den Namen?

Am einfachsten ist es natürlich, wenn man den Namen selber kennt (oder die Großmutter, die in ihrer Schulzeit noch richtig Artenkenntnis beigebracht bekommen hat, kann weiterhelfen). Ansonsten braucht man Hilfe. Unter den unzähligen Büchern, die man sich kaufen oder in einer anständigen Bibliothek entleihen kann, gibt es sehr gute und sehr schlechte. Vorsicht ist geboten, wenn ein Werk "die 200 schönsten Blütenpflanzen" vorstellt ohne auf die anderen 3800 zu verweisen, mit denen man sie verwechseln kann. Die einzig wirklich vollständigen Verzeichnisse findet man in wissenschaftlichen Büchern, die leider dem Anfänger zu textlastig sind und in ihrer drögen Abkürzungssprache recht abschreckend wirken. Man wird nicht drum herum kommen, vieles anzuschauen und auszuprobieren. Ein paar Bücher stelle ich unter Literatur vor.  

Wer nicht wissenschaftliches Bestimmen gewöhnt ist, sollte bei der Identifizierung auf einige Merkmale achten, die für Arten in der Regel charakteristisch sind, z.B. Anzahl und Größe der Kronblätter (Farbe natürlich auch, aber das springt ja ins Auge), genaue Form der Blätter, Anzahl der Staubblätter, Standort, Stellung der Laubblätter (gegenständig, wechselständig?). Oft werden Gewächse nur nach ihrer Blüte beurteilt und ignoriert, dass die Blätter völlig anders aussehen.

Eine Bestimmung per Suchmaschine ist in der Regel wertlos. Keine mir bekannte Seite bietet eine zuverlässige Bestimmung, dafür gaukeln viele Seiten aber ebendies vor. Bestimmungs-Apps, die für das Handy verfügbar sind, haben inzwischen eine enorm gute Trefferquote. Hervorheben möchte ich "PlantNet" und "Flora Incognita", die kostenfrei sind. Diese Apps geben auch immer eine Wahrscheinlichkeit an, mit der die vorgeschlagene Bestimmung zutreffend ist. Wichtig ist, dass man aussagekräftige, scharfe Fotos verwendet, nach Möglichkeit mehrere der gleichen Pflanze.

Was sowohl im Netz als auch in Bilderbüchern/Atlasbänden sehr gut geht: Eine Überprüfung, ob der ermittelte Name der Pflanze auch mit einem Bild davon übereinstimmt. Zur Bildersuche eignet sich wikipedia hervorragend, da hier sehr viele Arten monographisch erfast sind. Die Bildersuche einer bekannten Suchmaschine spuckt hingegen oft auch Bilder aus, die zu ganz anderen Arten gehören.

Das Pressen

Die Pflanzenpresse ist das wichtigste Handwerkszeug. 

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Die Pflanze wird in möglichst natürlicher Lage zwischen Zeitungspapier (oder andere, saugfähige Bögen) gelegt und zwischen den Wellpappdeckeln (ideal sind zerschnittene Pappkartons, deren Hohlräume die Feuchtigkeit ableiten) der Presse für ein paar Wochen unter Druck gepresst. Vor dem Einlegen müssen unbedingt die Pflanze genau bestimmt und Fundort, Datum und Name auf dem Papier oder einem eingelegten Etikett notiert werden. Die Bestimmung von gepressten Pflanzen ist ungleich schwieriger, manchmal fast unmöglich.
Eine Presse kann leicht selber gebaut werden (s.Abb. oben). Für den Druck sorgen wahlweise Packriemen (1) (wie sie für outdoor-Zwecke angeboten werden) oder Schrauben mit Flügelmuttern (2) in vier dafür an den Ecken gebohrten Löchern.

Pflanzen in Büchern zu pressen ist nur ein Notbehelf, denn entweder öffnet man das Buch arglos vorzeitig (und es fällt einem halbwelker Salat entgegen) oder öffnet es erst nach 20 Jahren wieder (den Pflanzen schadet das nicht) oder würde es gerne öffnen, obwohl es noch für zwei Wochen mit Grünzeug belegt ist.

Und hinterher hat es grüne Flecken.

Die Ablage

Der Botaniker wird vieles schön finden, aber hier geht es um Sammlungen, die auch ästhetischen Ansprüchen genügen und dem Laien gefallen sollen.

Hier werden vor allem bunt blühende Gewächse Eingang finden, die sich ansehnlich arrangieren lassen. Die private Sammlung schreit nicht nach Vollständigkeit und kann daher auf ähnliche, aber geschützte bzw. seltene Exemplare ebensogut verzichten wie auf Gewächse, die zum Pressen einfach zu dick, hart, spröde oder einfach unattraktiv sind. Auch Wurzeln können gut fehlen, und auf die Form der abgefallenen Kelchblätter kommt es nicht an. 
Auf eine saubere Beschriftung (Name, nach Möglichkeit auch der wissenschaftliche; Fundort und -datum gehören dazu) sollte man aber auch hier nicht verzichten.

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Für die Ablage kommen viele Varianten in Frage, die die Sammlung präsentabel und transportabel gestalten. 

 - Grundlage wird immer weißes Papier sein. Farbige oder gar gemusterte Bögen stören den Gesamteindruck und konkurrieren mit den Farben der Pflanzen.

- Aufkleben mit Papierstreifen/Klebestift (selbstklebende Streifen altern!) auf weißes Papier ist eine sehr schonende Methode, aber nicht gerade robust. Alternativ: Aufkleben der ganzen Pflanze mit Klebestift. Erfordert einiges Geschick, um die Pflanze nicht zu zerstören. Hält sehr gut und kann faszinierend aussehen, allerdings gehen die Details der Unterseite unweigerlich verloren. Dritte Möglichkeit: unbefestigt im gefalteten Bogen (s. unten). Das ist professionell, aber superempfindlich.

- Die Herbarbögen können in einer Mappe liegen oder auch einzeln in Klarsichthüllen (Prospekthüllen). Letzteres bringt allerdings einen erheblichen Berg Plastikmüll mit sich. Außerdem müssen die Pflanzen vorher restlos trocken sein, damit nichts schimmelt.

- Von der (wegen der Unzerstörbarkeit leider häufig praktizierten) Methode, die Pflanze mit Buchfolie aufzukleben, muß gewarnt werden. Abgesehen davon, daß die Pflanze bis zur Unkenntlichkeit verpappt wird und die Sammlung zu 50% aus Plastikfolie und Klebstoff besteht, verschimmelt sie nahezu immer innerhalb kurzer Zeit.

- Statt weißer Bögen kann auch ein weißes Heft oder Buch verwendet werden, allerdings läßt sich die Reihenfolge der Sammlung hier nie mehr verändern.

- Niemals aus Sparsamkeit Pflanzen auf Vorder- und Rückseite der Heftseiten kleben – sie verhaken sich beim Umblättern oder scheuern gegeneinander und gehen schnell kaputt.

Die wissenschaftliche Sammlung

Hier finden sich aus Gründen systematischer Vollständigkeit auch Gewächse, die nicht so spektakulär aussehen, obwohl sie es für den Botaniker durchaus sein können. Die Erkennbarkeit typischer Merkmale (Fruchtform? Unterschied von Grund- und Hochblättern? Behaarung?) ist hier von großer Bedeutung. Soweit möglich, sollten alle wichtige Teile vorhanden sein - von der Wurzel bis zum Sprossende. Auf eine exakte Beschriftung kommt es hier in besonderem Maße an:

- Wissenschaftlicher Name (sinnvollerweise ergänzt durch den deutschen Namen und die Familie)
- Fundort
- Funddatum
- Hinweise auf evtl. verlorengegangene Details (Blütenfarbe, abgefallene Kelchblätter)
- Name des Finders (sofern nicht in der ganzen Sammlung einheitlich)

Die beste Ablageform ist der gefaltete Papierbogen (mindestens A3 gefaltet), in dem die Pflanze locker liegt. Alle Details können jederzeit untersucht werden. Das Problem alternder Klebstoffe besteht nicht. Von Nachteil ist, daß die Bögen praktisch nicht anders als waagerecht und vorsichtig transportiert werden können. Solche Sammlungen überstehen Jahrhunderte, wenn sie nicht vom Museumskäfer aufgefressen oder unachtsam bewegt werden.

Eine behutsame Fixierung mit gummierten Papierstreifen (Tesafilm altert klebrig und dunkel und zieht ins Papier ein!) über weniger wichtigen Stengelteilen ist möglich; so eine Sammlung kann auch auf einzelnen (ungefalteten) Bögen - z.B. in einer Mappe - aufbewahrt werden. 

Wer ist Karlheinz Böhm?

Man stelle sich vor: Ein Foto mit Karlheinz Böhm, aufgenommen in Äthiopien, im Kreise mehrerer Einheimischer. Ich höre die Frage: Wer von denen ist Karlheinz Böhm?

   Antwort Nr. 1: Na, der Weiße in der Mitte.

   Antwort Nr. 2: Na, der Ausländer in der Mitte.

   Antwort Nr. 3: Na, der mit dem Migrationshintergrund.

Was klingt am wenigsten beknackt? Eigenartigerweise eben das, was wir im umgekehrten Fall als völlig undenkbar ausschließen würden.

Wozu dient Sprache? Zu allererst wohl dazu, sich unmissverständlich auszudrücken, einem Gegenüber mit möglichst wenigen Worten eine Botschaft zu übermitteln. In diesem Sinne ist die Angabe "der Weiße" sehr zweckmäßig, zumindest, solange Karlheinz Böhm zusammen mit vielen dunkelhäutigen Menschen auf einem Bild steht. Niemand nähme Anstoß daran. Umgekehrt ginge das eigenartigerweise gar nicht!

Antwort Nr. 2 ist jedenfalls nicht besser: Böhm ist in seiner zweiten Wahlheimat Äthiopien wohl weniger Ausländer als er es in Deutschland wäre. Und weil Ausländer ein relativer Begriff ist, eignet er sich nicht recht, wenn man in Deutschland ein Foto eines Österreichers betrachtet, der in Äthiopien zwischen Menschen unbekannter Herkunft steht.

Antwort Nr. 3 vielleicht? Zweifellos migriert Böhm ständig, aber keiner käme auf die Idee, ihn dadurch zu charakterisieren. Zumal man auf einem Foto gar nicht erkenenn kann, ob jemand migriert - vielleicht ist ja noch ein Senegalese dabei, frisch eingewandert und daher auch mit Migrationshintergrund.

Das einzig deutlich erkennbare Merkmal ist eben die Hautfarbe, und ausgerechnet deren Benennung soll tabu sein?

 

Vom Mohren zum Afrodeutschen

Der heute in solchen Situationen beliebte "Mitbürger mit Migrationshintergrund" ist ja auch ein dämlicher Ausdruck, so verkrampft wie "ausländischer Mitbürger". "Ausländer" darf man nämlich nicht mehr sagen, als wäre es eine Beleidigung, aus einem anderen Land zu stammen. Einen Migrationshintergrund habe auch ich, weil meine Eltern nach dem Krieg aus Berlin bzw. Schlesien in den Westen gekommen sind. Aber nein, das ist damit natürlich nicht gemeint ...

Wie sehr einen die political correctness in Teufels Küche bringt, merkt man, wenn man es Kindern vermitteln will.

"Papa, was ist ein Neger?"

"Neger sagt man heute nicht mehr, der Begriff wird heute als Beleidigung verstanden. Neger hat man früher Menschen genannt, die eine sehr dunkle Haut haben. "

"Und wie sagt man heute?"

Tja, wie sagt man heute? Das Hirn beginnt zu rauchen: Der "Mohr" ist ohnehin auf dem Schutthaufen der Sprachgeschichte, und selbst die Sarottischokolade pflegt ihn nur noch im Firmenmuseum. "Afrikaner" geht nicht, denn das stimmt nur, wenn die Person wirklich aus Afrika kommt. Viele bei uns sind "Afroamerikaner", aber eben auch nicht alle.

Lange Zeit war "Schwarzer" gesellschaftsfähig. Auch wenn ein Schwarzer genausowenig schwarz ist wie ich weiß, erfüllt diese plakative und sinnfällige Unterscheidung in vielen Fällen den Zweck, in sprachlicher Knappheit das Wesentliche auszudrücken. Und der Begriff stammt auch nicht mehr aus den Zeiten der Rassentrennung. Trotzdem darf ich mich zwar jederzeit als Weißen bezeichnen, sollte mich aber hüten, jemanden anderen schwarz zu nennen. Vielleicht liegt das daran, dass Weiße bei uns die Mehrheit sind und eine Minderheit sich schneller sprachlich ausgegrenzt fühlt.

Andererseits: Karlheinz Böhm gehört in Äthiopien zur weißen Minderheit – daran kann es also auch nicht liegen.

"Dunkelhäutiger" oder "Farbiger" ist an der verpönten sprachlichen Variante zu nahe dran, um wirklich akzeptiert zu werden.  Mit "Afrodeutscher" (möglicherweise auch sachlich falsch), "stark pigmentiert" oder Vergleichbarem wird der Reigen immer umständlicherer und abstruserer Wortschöpfungen dann endgültig eröffnet.

Der Krampf liegt letztlich daran, dass man Menschen mit dunklerer Hautfarbe nicht an diesem einzig sie verbindenden Merkmal benennen darf. Man sollte mal analog versuchen, das Wort "Gemüse" zu vermeiden. "Paul, du solltest Deiner Gesundheit zuliebe mehr überwiegend zur herzhaften Zubereitung bestimmte Feldfrüchte essen." Glücklicherweise fühlen sich Kartoffeln nicht beleidigt, wenn sie unter Missachtung ihrer Individualität und inneren Werte mit Möhren und Zucchini begrifflich über einen Kamm geschoren werden.

Der "Mohrenkopf" ist ganz folgerichtig auch längst von den Packungsaufschriften verschwunden, der "Negerkuss" ebenso, und das, obwohl der Begriff durchaus in jeder Hinsicht angenehme Assoziationen zu wecken geeignet ist. Hier wurde immerhin mit dem "Schokokuss" eine gangbare und wenig sperrige Lösung gefunden ("Schaumkuss" und "Dickmann" weckt in mir keine sonderlich positiven Gefühle).

Was aber geschieht mit den Negerlein aus den Kinderbüchern, ganz zu schweigen von den zehn kleinen aus dem Lied?

 

... da waren's nur noch neun!

Jüngst ist eine heiße Debatte in den Medien losgetreten worden, von Kulturbewahrern und Gleichberechtigungsaktivisten gleichermaßen engagiert geführt: Dürfen in Otfried Preußlers Kleiner Hexe an Fasching als "Negerlein" verkleidete Kinder herumlaufen? Natürlich möchte auch ich nicht, dass sich jemand durch deutsches Kulturgut beleidigt fühlt. Der Literatur wird es zumeist nicht übermäßig schaden, wenn einzelne Passagen modernisiert werden – das widerfährt auch der Bibel bei jeder Überarbeitung des Luthertextes. Andererseits  frage ich mich, ob ein Gespräch mit Kindern über solche Begriffe nicht mehr für das respektvolle Miteinander tut als das Totschweigen historischen Wandlungen unterworfener Wörter, denen man über kurz oder lang dann doch begegnet.

Wir eiern unsicher mit Worthülsen, Wortmonstern und schlicht sinnentstellenden Formulierungen um Sachverhalte, die sich einst klar benennen ließen. Behinderte, Ausländer, Schwarze, Dritte Welt – die Liste ließe sich fortsetzen.

Meine Theorie: Jede eine kleinere Bevölkerungsgruppe betreffende Bezeichnung wird über kurz oder lang als diffarmierend empfunden und muss daher alle zehn Jahre durch eine neue ersetzt werden. Vielleicht sollten sich sicherheitshalber auch die Kanaken, jener neukaledonische Volksstamm, der negativen Konnotation wegen umbenennen?

Aber hängt denn wirklich alles an Begriffen, die wir mit spitzen Fingern anfassen und uns nicht zu verwenden trauen? Spielt es denn eine Rolle, ob jemandem ein Mietvertrag bzw. Zugang zur Disco verweigert wird weil er Ausländer ist oder weil er einen Migrationshintergrund hat? Weil er schwarz oder weil er pigmentiert ist? Was uns fehlt, ist bestenfalls der vorurteilsfreie Umgang miteinander. Und ein unverkrampfter Umgang mit Sprache.

Viel wichtiger fände ich übrigens, die wirklich (und völlig unnötig) diffarmierenden Bezeichnungen für unsere Kinder zu verbannen. "Bälger", "Rotzlöffel" oder "Plagen" sind nicht wirklich liebe- oder respektvolle Begriffe. Ganz zu schweigen von meinem persönlichen Favoriten der Liste, dem bei uns in Franken beliebten "Fregger", was schlichtweg von "Verrecker" kommt - also den lebensuntüchtige, schwächliche Nachwuchs bezeichnet, den zu versorgen die Eltern nicht mehr für wert erachten. 

Dann lieber schwarz.    

„Ich habe wirklich ÜBERALL gesucht und NICHTS gefunden!“ 

... entschuldigte sich einst eine Schülerin bei mir, nachdem sie ein ziemlich inhaltsleeres Referat gehalten hatte. Auf meine Frage nach ihren Quellen offenbarte sie mir: Wikipedia und Google. Ob sie mal in Erwägung gezogen habe, ein Buch aufzuschlagen? - Betretenes Schweigen.

Die Situation ist symptomatisch. Ich begegne ihr auch ständig, wenn ich in irgendwelchen Fragenforen unterwegs bin. Nun kann man mit Recht fragen, warum ich mich durch ein dämliches Fragenforum wühle, und ich könnte entschuldigend etwas von angeborenem Oberlehrerverhalten, Profilneurose oder Hilfsbereitschaft erzählen, aber im Grunde geht es mir jetzt hier um etwas ganz anderes.

Die typische Überschrift im Fragenforum enthält die Zeile:

„Hilfe!!! DRINGEND!!!! BITTE SCHNELL ANTWORTEN!!!“

Welch aussagekräftige Themenangabe!

Als ob 73 Ausrufezeichen und die verzweifelte Versalienorgie den potentiellen Informanten irgendwie zu hilfreicheren Antworten anfeuern könnten!

Im Text folgt dann ausformuliert die eigentliche Frage, oft in verstümmeltem Deutsch, ohne Satzzeichen und ohne Großbuchstaben (die haben ja eine andere Funktion), in unvollständigen Sätzen und manchmal überhaupt völlig unverständlich - bis auf die stete Beteuerung, man habe ALLES durchsucht, ÜBERALL gegooglet (meist falsch geschrieben) und verstehe in Wikipedia NICHTS, weil das ja alles viel zu kompliziert sei, und das ja überhaupt KEIN MENSCH verstehen könne.

Wahrscheinlich wird man es sich als Mensch ohne bildungspolitisches Sendungsbewusstsein sparen, auf die Möglichkeit des Bücherlesens hinzuweisen. Manche Menschen finden offensichtlich Gedrucktes uncool, vielleicht inhaltlich und technisch per se veraltet, oder sie sind den Umgang mit Papier schlicht nicht mehr gewöhnt. Vielleicht haben sie das Vertrauen in die Zuverlässigkeit gedruckter Werke verloren, als sie vergeblich versucht haben, unterstrichene Wörter anzuklicken. Vielleicht sind sie irritiert, weil sich die Seite nicht auf ein Fingerwischen hin umblättert und das Papier von außen beleuchtet werden muss.

Ich weiß es nicht.

Wahrscheinlich ist ihnen vor allem im Kindesalter nicht vermittelt worden, dass Bücher Portschlüssel in abenteuerliche, fantastische, spannende Welten sind: Man fasst sie an, kann sie nicht loslassen, wird von ihnen angezogen, aufgesogen, stürzt hinein und verliert den Bezug zur Realität, gerät ins Träumen. Bücher machen süchtig.

Wer Bücher liebt und den Umgang mit ihnen gewöhnt ist, wird auch nie ein e-book wollen. Ein Buch hat ein Gesicht, ein Gewicht, einen Duft nach Staub, nach Druckerschwärze, nach altem oder neuem Papier, es ist klein oder groß gedruckt, mit engem oder breitem Satzspiegel, die Typen sind kantig oder geschmeidig, altmodisch oder modern, mit Serifen oder ohne. Das Papier ist grob oder glatt, weiß oder gelblich, leicht oder schwer. Vom Einband gar nicht zu reden: seine Textur liegt in der Hand, Leinen, Pappe, geprägt, mit glattem Schutzumschlag, vielleicht auch aus altem Leder oder Pergament. Jedes Buch ist anders, unverwechselbar, einzigartig.

Gewiss, werden jetzt manche Googlefetischisten einwenden, aber wenn es nicht um Unterhaltung geht sondern um knallhartes Wissen ... da sind Bücher doch veraltet, bevor sie erscheinen, oder nicht? Gibt nach dem Brockhaus jetzt nicht sogar schon die renommierte Encyclopaedia Britannica ihre Printausgabe auf?

Ja, das ist richtig. Und es ist traurig. Und ich fühle mich auch ein wenig mitschuldig, weil auch ich allzuoft und gerne etwas in Wikipedia nachschaue. Das ist schnell, umfassend, aktuell, zuverlässig.

Aber manchmal gehe ich auch bewusst zum Regal, ziehe den entsprechenden Band des „Meyer“ heraus und blättere mich zum Stichwort durch. Auch wenn der Artikel dann meist viel knapper ausfällt, als ich es aus dem weltweiten Selbstbedienungsladen gewöhnt bin. Was mir aber Wikipedia nicht bieten kann, ist das Hängenbleiben beim Blättern. Ein Beispiel: Ich suche die Zusammensetzung von Kaolin. Beim Aufschlagen der Seiten lande ich zunächst bei J. „Jütland“. Kurz bleibe ich kleben und bin neugierig, ob mich meine Erinnerung bezüglich dessen geographischer Lage nicht trügt. Weiter über „Karst“. Zu weit. Das Foto einer Höhle hindert mich am Weiterblättern. So schnell kann man nicht wegschauen, wie der Blick haften bleibt. Ich reiße mich los, klebe an „Kant“ fest - das war doch der in Königsberg? Der mit dem Senf? - und erreiche erst nach vier weiteren Stationen mein Ziel. Ich erinnere mich, wie ich mich in meiner Kindheit oft stundenlang hemmungslos im Lexikon habe treiben lassen. Wer sagt da, Nachschlagewerke seien nicht spannend?

Offenbar neige ich dazu, mich vom Hundertsten ins Tausendste treiben zu lassen, q.e.d. ... wo hatte ich begonnen? Richtig! Informationsbeschaffung für ein Referat.

„Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah ...“, wie Goethe (falsch, aber sachlich zutreffend) oft zitiert wird. Es gibt nämlich Seiten, die Informationen maßgeschneidert liefern. Verständlich für Schüler aufbereitet, mit Bildmaterial, so ausführlich, wie es das Vorwissen ermöglicht, so knapp, wie es der Verständnishorizont der jeweiligen Jahrgangsstufe erfordert. Die Themenauswahl: abgestimmt auf den Lehrplan, und dann noch etwas darüberhinaus.

Diese Seiten haben nur einen Nachteil: sie sind für Schüler fast unzugänglich, geschützt durch eine Art psychologische Firewall, terra incognita des Internets, nicht bei Google gelistet und erhalten schon alleine daher fast eine Aura des Mystischen. Eine Art Darknet.

Diese Seiten sind die des Schulbuchs.

Manchmal ärgert sich der Biologe oder einfach der Mensch in mir über Dinge, die in der Zeitung stehen, über den Bildschirm flimmern oder die ihm im täglichen Leben begegnen. In solchen Momenten entstehen Texte wie diese hier. Vielleicht bisweilen etwas polemisch oder karikiert. Vielleicht geht es mich nichts an, vielleicht sollte ich nicht öffentlich darüber lästern, vielleicht ist das nur arrogant und blöde. 
Aber die Texte sprechen mir Frust von der Seele, und es steht ja jedem frei, sie zu lesen oder es sein zu lassen.